Geschichts-Atelier Elvira Pionierinnen* der Frauenbewegung in München |
Persönliche Daten | ||||
Name: | Obrist | |||
Vorname: | Hermann | |||
Religion bei Geburt: |
reformiert
Hermann Obrist wurde in der evangelisch-reformierten Kirche Zollikon bei Zürich getauft. In dem 1894 angelegten Meldebogen bezeichnet er sich als "konfessionslos". | |||
Geburtstag: |
27.05.1862
Der Polizeiliche Meldebogen nennt das Geburtsjahr 1863. In den autobiographischen Aufzeichnungen "Ein glückliches Leben" ist 1862 als Geburtsjahr angegeben. | |||
Geburtsort: | Kilchberg/Schweiz | |||
Todestag: | 26.02.1927 | |||
Sterbeort: |
München
Die Feuerbestattung fand im Ostfriedhof statt. Die Grabrede hielt der Schriftsteller Karl Wolfskehl. | |||
Ausbildung Beruf/Erwerb: | Bildhauer, Pädagoge, Keramiker, Kunstgewerbler 1884-1886 Studium der Medizin und Naturwissenschaften in Heidelberg Die Datierung des abgebrochenen Medizinstudiums folgt den Angaben von Christoph Zuschlag: Die Mehrfachbegabung Hermann Obrist, in: Kunstchronik 64 (2011), Nr. 3, S. 154. | |||
Staatsangehörigkeit bei Geburt: | Schweiz |
Familie | |||
Vater | Carl Kaspar Obrist | Arzt | 1828 - 1901 |
Der Vater war neben seiner Tätigkeit als Arzt ein leidenschaftlicher Naturforscher, was er seinen Kindern durch ausgiebige Beobachtungen in der Natur weiterzugeben versuchte. Außerdem unterrichtete er sie in Musik. Er spielte sieben Instrumente und besaß ein Faible für Instrumentenbau. Nach der Trennung der Eltern hatte Hermann Obrist offensichtlich keinen Kontakt mehr zu seinem Vater. Im Münchener Meldebogen von 1894 wird unter der Rubrik Eltern nur die verstorbene Mutter und nicht der noch lebende Vater erwähnt. | |||
Mutter | Alice Jane Grant Duff | 1834 Eden - 1891 Weimar | |
Die Mutter entstammte einem der ältesten schottischen Adelsgeschlechter. Nachdem sie im Alter von 19 Jahren den ersten standesgemäßen Heiratsantrag eines schottischen Adeligen abgelehnt hatte, lernte sie im Alter von 23 Jahren Carl Kaspar Obrist auf einem Künstlerfest in Zürich kennen und heiratete ihn gegen den Widerstand der Familie. Nach dem Tod von zweien ihrer vier Kinder trennte sie sich 1876 von ihm und zog mit den Söhnen Hermann und Aloys nach Weimar. In ihrem Roman "Frau Bürgelin und ihre Söhne" (1899) soll Gabriele Reuter für Zeitgenossen leicht entschlüsselbar die Geschichte von Alice Jane Obrist und ihren beiden Söhnen Hermann und Aloys in Weimar geschildert haben. | |||
Bruder | Maximilian Obrist | 1860 Kilchberg - 1874 Kilchberg | |
Der ältere Bruder Maximilian starb mit vierzehn Jahren an Typhus | |||
Schwester | Elise Leila Obrist | 1865 Kilchberg - 1871 Kilchberg | |
Die einzige Schwester verstarb im Kleinkindalter ebenfalls an Typhus. | |||
Bruder | Aloys Obrist | Musiker, Komponist, Hofkapellmeister | 1867 Kilchberg - 1910 Stuttgart |
Der jüngere Bruder Aloys studierte in Weimar und Berlin Musik, war Kapellmeister am Stadttheater Augsburg, bevor er 1895-1900 als königlich-württembergischer Hofkapellmeister am Staatstheater Stuttgart und 1901-1907 als Kustos des Liszt-Museums in Weimar wirkte. 1893 heiratete er in Weimar die Theaterschauspielerin und spätere Frauenrechtlerin Hildegard Jenicke. 1907-1909 unterhielt er eine Affäre mit der Opernsängerin Anna Sutter, die er 1910 erschoss, bevor er sich selbst tötete. |
Familienstand | ||||||
verheiratet mit | 1898 | Marie Louise geb. Lampe | 1867 Leipzig - 1952 München | |||
Marie Louise Obrist war ab 1899 ebenfalls Mitglied des Vereins für Fraueninteressen. In seinen vermutlich 1926 entstandenen, in der 3. Person verfassten Erinnerungen "Ein glückliches Leben" schrieb Hermann Obrist: „Im Jahre 1898 heiratete er, der wohl über acht mal hätte heiraten können, ein Mädchen, wie es ein zweites nicht gibt. Eine solche Verbindung von guter Familie, von Liebreiz, von Intelligenz, von loyalem Charakter, von unentwegtem Pflichtgefühl, von Humor und angeborenem Sinn für Musik und alle Künste, von Freude am Leben und Treue im Leid, von wahrer Güte und Liebesfähigkeit, kommt selten oder nie vor.“ (Hermann Obrist, Ein glückliches Leben, in: Hermann Obrist. Skulptur, Raum, Abstraktion um 1900, Zürich 2009, S. 97 – 143, hier S. 137) |
Kinder | |||||
Leila Obrist | Malerin | 1900 München - unbekannt unbekannt | |||
Leila Obrist gilt seit dem 22.12.1949 als verschollen, auf ihrer Einwohnermeldekarte wurde folgendes vermerkt: "seit 22.12.49 nicht mehr in die Wohnung zurückgekehrt, derzeitiger Aufenhalt unbekannt, lt, Erh. v. 15.4.50. | |||||
Amaranth Obrist | Malerin | 1902 München - 1944 München | |||
Sie verstarb bei dem Versuch, das Atelierhaus in der Karl-Theodorstr. 24 zu retten. |
Mitgliedsjahre im Verein für Fraueninteressen | |||||
1896 | bis 1916 | ||||
Auch wenn wir es nicht anhand von Mitgliederlisten nachweisen können, ist anzunehmen, dass Obrist auch nach dem 1. Weltkrieg Mitglied des Vereins blieb. |
Ämter und Mitgliedschaften in anderen Vereinen | |
1885 bis 1890 Mitglied in der Goethe-Gesellschaft Weimar (gemeinsam mit der Mutter und Bruder Aloys) |
Erwähnung in Jahresberichten und andere Zitate |
Hermann Obrist in den Jahresberichten Zitate: |
Eigene Publikationen |
Obrist, Hermann: Wozu über Kunst schreiben?, in: Dekorative Kunst. Eine Illustrierte Zeitung für Angewandte Kunst. (1900). S. 169 - 198, online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00087496, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Obrist, Hermann: Die Antwort durch die That, in: Münchner Neueste Nachrichten, 54. Jg., Nr. 213 Morgen-Blatt v. 07.05.1901, S. 2 und Nr. 214 Vorabend-Blatt vom 08.05.1901, S. 3, online: Obrist, Hermann: Luxuskunst oder Volkskunst, in: Dekorative Kunst. Eine Illustrierte Zeitung für Angewandte Kunst, Dezember 1901, online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00087504, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Obrist, Hermann: Kunstakademien oder Schulen der Kunst?, in: Allgemeine Zeitung, 106. Jg. Nr. 107 Morgenblatt v. 18.04.1903, S. 1, Online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00085669, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Obrist, Hermann, Neue Möglichkeiten in der bildenden Kunst. Essays, Leipzig 1903, online: Obrist, Hermann: Die Lehr- und Versuch-Ateliers für Angewandte und Freie Kunst, in: Dekorative Kunst. Eine Illustrierte Zeitung für Angewandte Kunst, Bd. 12 (1904), S. 228 - 232, online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00087521, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Obrist, Hermann: Der „Fall Muthesius" und die Künstler, in: Allgemeine Zeitung 110. Jg. Nr. 428 v. 15.09.1907, S. 2, online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00085843_00239_u001, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Obrist, Hermann: Das schönste Gebäude Europas. Ein Nachwort., in Münchner Neueste Nachrichten, 79. Jg. Nr. 229 v. 29.08.1926, S. 1 f., online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00133618, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Obrist, Hermann: Ein glückliches Leben, in: Hermann Obrist. Skulptur, Raum, Abstraktion um 1900, Zürich 2009, S. 97 – 143 |
Ausstellungen |
Vorträge |
Quellen und Literatur |
Quellen und Literatur. The Mary Berenson Diaries, online edition: Mitglieder-Verzeichniß der Goethe-Gesellschaft in Weimar (Stand 30.11.1885), in: Mitglieder-Verzeichniß der Goethe-Gesellschaft in Weimar (Stand März 1890), in: Goethe-Jahrbuch, 11. Bd. hrsg. von Geiger, Ludwig, Frankfurt a. M. 1890, online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb11676882, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Internationale Kunstausstellung veranstaltet vom Verein Berliner Künstler anläßlich des fünfzigjährigen Bestehens 1841 -1891, Katalog und Führer, Berlin 1891, Münchener Jahres-Ausstellung von Künstlern aller Nationen, Glaspalast 1894, München 2. Auflage 1894, S. 65 Kunstchronik. Die Reform des Kunstgewerbes, in: Münchner Neueste Nachrichten, 49, Jg. Nr. 565 Vorabend-Blatt vom 04.02.1896, S. 3 f., Online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00130609_00797_u001, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Brockdorff, Rolf von: Decorative Kunst im Glaspalast, in: Allgemeine Zeitung, 100. Jg., Nr. 285 Morgenblatt v. 14.10.1897, online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00085606, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Logan, Mary (=Costelloe, Mary Smith): Hermann Obrist´s Embroidered Decorations, in: The Studio. An Illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Volume 9, London 1897, S. 98 - 105, online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb11788795, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Fuchs, Georg: Das Ergebnis der Münchener Kunstausstellung von 1897 (Schluss), in: Wiener Rundschau Nr. 22 v. 01.10.1897, S. 837-842, online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb11795772, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Destouches, Ernst von: Fünfzig Jahre Münchener Gewerbe-Geschichte 1848 - 1898, Gedenkbuch zur Feier des 50jährigen Jubiläums d. Allg. Gewerbe-Vereins München, München 1898, S. 291 f. N.N.: Hermann Obrist, in: Dekorative Kunst. Eine Illustrierte Zeitung für Angewandte Kunst Bd. II (1898), Heft 10. S. 138 f. und S. 145 - 149., online: Kunstchronik. Hermann Obrist, in: Münchener Neueste Nachrichten, 53. Jg., Nr. 60 Morgen-Blatte v. 06.02.1900, S. 2, online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00134120, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Erster Kunsterziehungstag in Dresden, in: Münchner Neueste Nachrichten 54. Jg. Nr. 462 Vorabend-Blatt v. 05.10.1901, S. 4, online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00130003, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Bredt, Ernst Wilhelm: Verkünden und Handeln, in: Dekorative Kunst. Eine Illustrierte Zeitung für Angewandte Kunst Bd. IX (1902), S. 218 - 226, online: Heinrich Porges' Grabmal, in: Münchner Neueste Nachrichten, 55. Jg. Nr. 553, Vorabend-Blatt vom 28.11.1902, S. 3, online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00134113, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Wolf, Georg Jakob: Die Lehr- und Versuchs-Ateliers für Freie und Angewandte Kunst, in: Dekorative Kunst. Eine Illustrierte Zeitung für Angewandte Kunst Bd XIV (1911) S. 193 - 200, online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00087544, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Steiger, H.: Zu den Arbeiten Hermann Obrists, in: Dekorative Kunst. Eine Illustrierte Zeitung für Angewandte Kunst, Bd. 22 (1913/14), S. 84 - 86, online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00087546, zuletzt abgerufen am 29.07.2024 Beerdigung Obrists, in: Münchner Neueste Nachrichten, 80.Jg., Nr. 61 vom 03.03.1927, S. 3, online: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00133614, zuletzt abgerufen am 29.07.202 Wichmann, Siegfried(Hg.): Hermann Obrist. Wegbereiter der Moderne. Stuck-Villa München 1968. Berenson, Mary: A Self-Portrait from Her Diaries and Letters, ed. by Strachey, Barbara and Samuels, Jayne, New York London 1983 Bruns, Brigitte/ Herz, Rudolf (Hg.): Hof-Atelier Elvira 1887-1928. Ästheten, Emanzen, Aristokraten, Ausstellungskatalog des Münchner Stadtmuseums, München 1985 Rinker, Dagmar: "Obrist, Hermann" in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 406-407, online: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118735861.html#ndbcontent, zuletzt abgerufen am 11.04.2024 Rinker, Dagmar: Der Münchner Jugendstilkünstler Hermann Obrist (1862 - 1927), München 2001 Afuhl, Eva/ Strobl, Andreas (Hg.): Hermann Obrist. Skulptur, Raum, Abstraktion um 1900. Ausstellungskatalog Museum Belle Rive Zürich, Staatliche Graphische Sammlung München. Zürich 2009 Bucher, Annemarie: Hermann Obrist, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Online Version https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/022090/2010-09-14/, Version vom 14.09.2010, abgerufen am 12.04.2024) Zuschlag, Christoph: Die Mehrfachbegabung Hermann Obrist, in: Kunstchronik 64 (2011), Nr. 3, S. 153-158, online: https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/6000/, zuletzt eingesehen am 19.07.2024 Gebhardt Fink, Sabine/ Vogel, Matthias: Hermann Obrist. Im Netzwerk der Künste und Medien um 1900, Berlin 2013 Mollenhauer, Bernd: Hermann Obrist – Der Visionär mit der Peitsche, in: ders., Jugendstil in München, München 2014, S. 9-14 Richardsen, Ingvild: „Leidenschaftliche Herzen, feurige Seelen“. Wie Frauen die Welt veränderten, Frankfurt/ M. 2019, S. 142-147 Strobl, Andreas: Hermann Obrist und die Frauen, in: Richardsen, Ingvild (Hg.), Die modernen Frauen des Atelier Elvira in München und Augsburg 1887-1905, München 2022, S. 195-203 Kargl, Kristina: Gabriele Reuter und Hermann Obrist. Eine Freundschaft im Spiegel der Erinnerungen und im Roman Frau Bürgelin und ihre Söhne, in: Bassermann-Jordan, Gabriele von/ Fromm, Waldemar, Kargl, Kristina (Hg.)., Freunde der Monacensia e.V., Jahrbuch 2022, München 2023, S. 191-223 Jenicke, Hildegard, Artikel in Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Hildegard_Jenicke (letzte Aktualisierung 25.04.2019, abgerufen am 11.04.2024) Obrist, Aloys, Artikel in Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Aloys_Obrist (letzte Aktualisierung 15.12.2023, abgerufen am 11.04.2024) Obrist, Hermann, Artikel in Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Obrist (letzte Aktualisierung 06.03.2024, abgerufen am 12.04.2024) Ruchet, Berthe, Artikel in Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Berthe_Ruchet (letzte Aktualisierung 05.12.20023, abgerufen am 15.04.2024) Sutter, Anna, Artikel in Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Sutter (letzte Aktualisierung 06.03.2023, abgerufen am 11.04.2024) |
Anmerkungen | |||||
Der zweitälteste Sohn einer schottischen Adeligen und eines in Naturwissenschaften und Musik leidenschaftlich interessierten Schweizer Arztes beschäftigte sich schon als Heranwachsender intensiv mit Botanik, wollte Naturwissenschaften studieren, brach ein Medizinstudium ab und kam während eines Aufenthalts bei englischen Verwandten mit der Arts-and-Craft-Bewegung in Berührung. Nach Stationen an der Kunstgewerbeschule Karlsruhe sowie in einer thüringischen Töpferei studierte er vorübergehend Bildhauerei in Paris und bildete sich in in verschiedenen Techniken (Marmor, Terracotta, Bronze) weiter, bevor er in Florenz mit Berthe Ruchet, der ehemaligen Gesellschafterin seiner Mutter, ein Stickereiatelier eröffnete. Sie war Autodidaktin wie er, lernte von Stickerinnen in Florenz vor allem die reliefartige Stickerei bei Kirchengewändern (Paramente) und sorgte für die Ausführung seiner Entwürfe. Gemeinsam gingen sie 1894 nach München, wo sie in Kontakt mit Sophie Goudstikker und den Verein für Fraueninteressen gelangten, dem sie beide beitraten (vgl. Hermann Obrist und der Verein für Fraueninteressen). Die im März 1896 im Münchner Kunstsalon Jakob Littauer gezeigte Ausstellung von Stickereien, die Hermann Obrist in enger Kooperation mit Berthe Ruchet nach seinen Entwürfen hatte fertigen lassen, wurde als „Geburt einer neuen angewandten Kunst“ gefeiert und bescherte ihm internationale Aufmerksamkeit. Er selbst bezeichnete seine Arbeiten später als inspiriert von Rhythmus, Schwingungen, Vibrationen, die er überall wahrzunehmen behauptete. Die früh begonnenen und über Jahre betriebenen Naturstudien lieferten ihm entsprechend reichhaltiges Material. 1899 endete die Zusammenarbeit mit Berthe Ruchet. Die genauen Umstände sind bis heute ungeklärt und bedürfen weiterer Untersuchungen. Obrists Auseinandersetzung mit Van der Velde aus dem Jahr 1901 (siehe oben unter „Zitate") zeigt exemplarisch wie hartnäckig und mit welchen Mitteln um Anerkennung und Nachruhm gerungen wurde. Obrists kongeniale Partnerin Berthe Ruchet bleibt in diesem Zusammenhang völlig unerwähnt. Im Gegenteil, es wird betont, dass Obrist an den 1896 ausgestellten Stickereien völlig allein „drei Jahre in gänzlicher Abgeschiedenheit gearbeitet“ habe. Vielleicht ein Lehrbeispiel dafür, wie leicht Leistungen von Frauen übersehen und dann vergessen werden, wenn sie sich nicht wehren. 1897 war er Mitbegründer der „Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk“ sowie 1902 der „Lehr- und Versuchs-Ateliers für angewandte und freie Kunst“ (gemeinsam mit Wilhelm von Debschitz, deshalb „Debschitz-Schule“) in München und 1907 Gründungsmitglied des „Deutschen Werkbunds“. Als Vortragsredner deckte Obrist ein breites Themenspektrum aus Kunst, Gesellschaft und Philosophie ab. Seine kunsttheoretischen und -politischen Überlegungen trug er nicht nur in verschiedenen Kunstvereinen und -gesellschaften vor, sondern auch im Verein für Fraueninteressen und anderen zumeist freidenkerischen Vereinen, die sich später zum Kartell freiheitlicher Vereine in München zusammengeschlossen hatten. Später wandte er sich auch lebensreformerischen Themen zu. Infolge einer Mittelohrentzündung, an der er im Alter von zwanzig Jahren erkrankte, wurde er zunehmend schwerhörig und letztlich taub, weshalb er sich schließlich nach und nach aus der Öffentlichkeit zurückzog. | |||||
Hermann Obrist und der Verein für Fraueninteressen | |||||
Hermann Obrist gehörte neben sechs weiteren Mitgliedern (dem Landtagsabgeordneten Otto Freudenberg, den Schriftstellern Ludwig Fulda und Heinrich Steinitzer, dem Mathematikprofessor Ferdinand Lindemann, dem Sprachpädagogen Christof Pöhlmann und dem Geschäftsführer der Münchener Künstler-Genossenschaft Ernst Wiest) zu den frühesten männlichen Unterstützern des späteren Vereins für Fraueninteressen und blieb ihm vermutlich bis zu seinem Lebensende verbunden. Sein Eintritt erfolgte zwischen September 1894 und Februar 1896. Schon vor seiner Ankunft in München verstand er sich als überzeugter Anhänger der Frauenbewegung. Seine damals enge Freundin, die in Italien lebende Kunsthistorikerin Mary Costelloe, spätere Mary Berenson schrieb am 27. Februar 1894 in ihr Tagebuch: „(…) and Obrist and I sat on the grass under the town wall and discussed ‚the woman question‘, upon which, so it seems, we were nearly agreed, but who can fathom the bas fond of a Man´s Mind? Certainly not a young woman acquaintance! He is for a three year marriage system, and the children to belong entirely to the mother, with a minimum state allowance for the maintenance and education of every child“ (The Mary Berenson Diaries, Diary 2, 1894-1895, S. 52). Im November 1894 besucht sie Obrist in München und schrieb am 4. November: „Then I went to Munich and saw H (=Hermann Obrist) and made some friends there, especially Miss Goudstikker. Strange …", ebd. S. 74. An einem ihrer letzten Abende in München, am 24.11.1894 (vgl. Berenson Self-Portrait, S. 61) findet im Café Luitpold eine der ersten großen Veranstaltungen der Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau statt: Das spätere Vereinsmitglied Max Haushofer hält einen Vortrag „Über die Ehe" und Ika Freudenberg über die Ziele der Frauenbewegung. Es ist durchaus vorstellbar, dass Obrist zusammen mit Mary Costelloe und Berthe Ruchet diese Veranstaltung besuchte und alle drei im Anschluß daran dem Verein betraten. Leider sind die Mitgliederlisten von 1894 und 1895 nicht erhalten und so lesen wir die Namen der drei erst in der Auflistung vom Februar 1896. Obrists eigene Vortragstätigkeit im Verein begann im Dezember 1896. Er sprach zum Thema: | |||||
Nachrufe | |||||
"Der L e h r e r Obrist war mehr, vielmehr als der Bildhauer und der Erfinder preziöser Textilien. Er war mit seinen Ateliervorträgen wie bei gelegentlichen öffentlicheren Äußerungen der erfolgreiche Schrittmacher eines neuen Typus von Künstler sowohl wie von Kunstpublikum. (...) Im Sichtbaren, Bleibenden ist sein Lebenswerk geringfügig, aber groß war seine Wirkung. Gegeben hat er einer Generation, was schließlich wichtiger ist als alle Einzelleistung, den dynamischen Antrieb, die Bewegung auf das Geistige hin in der Kunst sowohl wie im Leben." „Doch man darf nie vergessen, dass durch seine Vorträge über alles Mögliche der Boden zur Aufnahme neuer künstlerischer Möglichkeiten um so mehr befruchtet wurde, als immer seine geistreich sprühenden Ausführungen zumal in der Frauenwelt nachhaltige Aufnahme gefunden haben" |
Letzte Änderung | |
geändert: 08.10.2024 |
Wir bitten um folgende Zitierweise: Eintrag: „Hermann Obrist“/ID 138, Online-Datenbank „Pionierinnen* der Frauenbewegung in München. Die frühen Mitglieder der Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau/des Vereins für Fraueninteressen in München“. Verein für Fraueninteressen e.V. München, www.geschichtsatelier-elvira.de |